Die besonderen Empfehlungen im Dezember - Buchhandlung und Verlag Bornhofen in Gernsheim am Rhein

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Die feinen Bücher des Monats Dezember.
Bereits zum dritten Mal „servierten“ wir Ihnen „Feine Bücher für schöne Stunden“ bei einem kleinen Abendessen.
Es waren zwei sehr schöne und völlig unterschiedliche Veranstaltungen, obwohl es genau die gleichen zehn Bücher waren und dieselbe Sorte Spezereien …
Der zweite Abend lieferte übrigens eine Idee für eine neue kleine Veranstaltungsreihe – dazu mehr im neuen Jahr!


Begonnen hatte der Abend mit einem Buch zum immer wieder in die Hand nehmen:

Die dtv Verlagsgesellschaft ist ein wenig skurril, fi nde ich, denn sie wurde 1960 von elf verschiedenen Verlagen gegründet, die ihre Hardcover-Ausgaben halbwegs selbstbestimmt ins Taschenbuch-Segment überführen wollten. Ab Mitte der 90er Jahre gab es bei dtv (dtv steht für Deutscher Taschenbuch Verlag) dann zunehmend eigene Titel, also solche, die nicht bereits als HC in den „Gründerverlagen“ erschienen waren. Und seit 2012 gibt es nun auch gebundene Bücher im Taschenbuchverlag.

Zu diesen gehört auch dieser gleichermaßen informative wie entzückende Bildband über Bauwerke, die so nie gebaut wurden. Der Schutzumschlag zeigt schon ein solches – ein Bauwerk, das einem Elefanten gleicht, im 18. Jahrhundert entworfen wurde und dort hätte stehen sollen, wo heute der Arc de Triomphe steht. Philip Wilkinson schreibt unterhaltsam und sehr informativ, und was mir besonders gut gefällt, ist, dass er auch ein wenig in andere Bereiche ausschweift, es geht also immer auch um das Land selbst und die Besonderheiten des Lebens dort. Als kleinen Lesetipp empfehle ich das Kapitel „London Tower“, da greifen die kleinen „Nebeninfos“ nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart.

Philip Wilkinson: „Atlas der nie gebauten Bauwerke“, dtv, 978-3-423-28976-4, € 30,00, eBook € 24,99

Natürlich gibt es im „Atlas“ auch einen Beitrag über Charles Rennie Mackintosh genannt Tosh. Damit sind wir beim zweiten Buch, dass ich Ihnen ans Herz legen möchte:

Schon als Kind war Charles Rennie Macintosh anders als seine Geschwister und Alterskameraden – wenn diese rennen und spielen wollten, suchte er versteckte Ecken. Ein Fußballspiel war kein schönes Erlebnis für ihn, sondern Grund für eine wirkliche Krise. Und die Besuche im väterlichen Garten dienten nicht der Muße oder der Gärtnerei, sondern dem leidenschaftlichen Zeichnen von Blumen. Nach dem Besuch der Glasgow School of Art und einem Studium der Architektur nutzte Macintosh seine Fähigkeiten dazu, die prägenden Strukturen alter schottischer Architektur ins Ende des 19ten Jahrhundert zu überführen und stand wiederum fast alleine da, denn die anderen Architekten bauten im Stile des europäischen Kontinents … Und doch ist es gerade Charles Rennie Macintosh, der prägende Architektur, wunderschöne, wohnliche Möbel und faszinierende Gemälde schuf – im Grunde ist seine Kunst der schottische Gegenspieler zum Jugendstil.

Karen Grol hat einen hochinteressanten, lesenswerten Roman über den schottischen Ausnahmekünstler, der von seinen Freunden Tosh genannt wurde, und seine Zeit geschrieben. Ihr Tosh ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, voller Gefühle und Unsicherheiten, mit klarem Blick für Formen und Nutzungen, ein wirklicher Allrounder ohne gesellschaftliche Anerkennung. Aber auch ein Liebender, ein Starrkopf und ein zuverlässiger Freund, der Dinge, die ihm wichtig waren, nie aus dem Auge verlor.

Karen Grol: „Mackintoshs Atem“, Verlag Stories & Friends, € 22,00, 978-3-942181-87-7
Jetzt gehen wir ein wenig in der Geschichte zurück, an den Beginn des 19. Jahrhunderts und widmen uns einer Frau, deren Konterfei Sie alle kennen.

Die Rede ist von Annette von Droste-Hülshoff , sie war das „Gesicht des 20-Mark-Scheins“. Ihr widmet die Autorin Karen Duve ihren aktuellen Roman – und das ausgesprochen kenntnisreich und in einer beeindruckenden Sprache. Einerseits nutzt sie heutige Sprachmuster, andererseits alte Ausdrücke. Und weil Duve schreiben kann, ist DAS aus einem Guss!

Im Roman „Fräulein Nettes letzter Sommer“ geht es vordergründig um die zarte Liebschaft zwischen Annette von Droste-Hülshoff  und Heinrich Straube, einem mittellosen Dichter- und Studienfreund von Annettes Brüdern. Die junge Annette hat einen scharfen Verstand, sie erkundet die Natur, sie schreibt und komponiert. Und sie ist nicht still, wenn sich die Herren unterhalten –Heinrich ist der einzige, der das anregend fi ndet. So verbringen die beiden einen Sommer miteinander. Doch Straube, ein Protestant, ist ganz sicher kein Heiratskandidat für die Freiin von Droste-Hülshoff !

Eigentlich geht es in Duves Roman aber um sehr viel mehr: Um die Stellung der Adligen und ein ganzes Klassensystem im Umbruch, um eine starke Frau und ihre Rolle innerhalb von Familie und Gesellschaftsschicht, um die Aberkennung von Können und Verstand wegen des Geschlechts.

Karen Duve: „Fräulein Nettes letzter Sommer“, Galiani Verlag, € 25,00, eBook € 22,99, 978-3-8697-1138-6

Selbstverständlich haben wir auch eine sehr, sehr schöne Ausgabe der „Judenbuche“, der Novelle, mit der Annette von Droste-Hülshoff  ein herausragendes Gesellschaftsportrait gelungen ist, und einen Band mit Gedichten. Falls Sie Feuer gefangen haben …

Wobei ich persönlich finde, dass man für Gedichte nicht extra Feuer fangen muss. Poesie ist nichts, was man in jeder Stimmung lesen kann, das stimmt schon, aber die Vorstellung von einem Gedicht am Tag, die mag ich schon sehr gerne. Ein bisschen wie Zähneputzen könnte es ja zum Alltag gehören! Dieses Bild hatte auch der Gestalter des Aufbau-Verlags vor Augen, als er dieses Buch entwarf: Schlicht und doch sehr ins Auge fallend durch die leuchtende Farbe – und mit einer Zahnbürste drauf als Erinnerungshilfe. „Lyrik lesen nicht vergessen“ steht noch auf dem orangen Aufkleber (den kann man abmachen, wenn man will).

Es sind völlig unterschiedliche Gedichte, manche heiter, manche nachdenklich, ein paar satirische sind dabei und pathetische auch. Aber genau das macht es eigentlich auch so schön – man weiß nie so genau, was der Tag bringt. Auch zeitlich gibt es reichlich Abwechslung, das älteste Gedicht ist von Walther von der Vogelweide und stammt damit aus dem zwölften Jahrhundert, der jüngste Dichter ist Thomas Gsella, Jahrgang 1958. Die Gedichte besingen die Natur, die Liebe, durchaus auch religiöse Themen, es einfach ein wirklich gelungener Querschnitt.

„Alle Tage ein Gedicht“, Aufbau Verlag, € 22,00, 978-3-351-03691-1

Ursprünglich ist das nächste Buch im Jahr 2016 erschienen und hatte damals ein hellblaues Cover mit Eistüten in Softfarben drauf – es sah sommerlich und heiter aus und der Klappentext versprach eine Liebesgeschichte. Und ja: Das Buch ist AUCH sommerlich und heiter und es gibt nicht nur eine Liebesgeschichte. Aber es ist auch melancholisch, hintergründig, informativ.

Die Geschichte spielt auf mehreren Ebenen und man muss sich manchmal erst einfi nden, wo man gerade ist. Einmal sind da Giovanni und Luca Talamini, Eismacher in der vierten Generation. Zumindest hat der Vater ihnen beiden alle Fertigkeiten mitgegeben und wie es Tradition ist, hätte das Eiscafé in Rotterdam auf den älteren Giovanni übergehen sollen. Doch Giovanni liebt die Sprache mehr als das Eis und zieht als Autor „in die Welt“, wird später Leiter eines großen Poetik-Festivals. Und Luca bleibt notgedrungen zu Hause – „dafür“ heiratet er die von ihnen beiden angebetete Sophia. Das bleibt nicht ohne Folgen für alle drei, die beiden Brüder reden über einen sehr langen Zeitraum so gut wie nicht miteinander.

Dann gibt es aber auch die Geschichte des Eismachens an sich und die des ersten Eismachers der Familie, Giuseppe Talamini. Er hat bei der ersten „Schneeernte“ eine Art Erweckungserlebnis und ihm ist von da an klar, dass er nicht wie sein Vater Bauer werden kann, sondern Eismacher werden muss. Er geht nach Amerika und kommt relativ wohlhabend zurück ins Dorf in den Dolomiten. Doch um mit Eismachen Geld zu verdienen, muss er zumindest im Sommer dorthin ziehen, wo viele Menschen sind … Es ist ein Buch übers Träumen und das Lebensglück, über Familienlügen und Tradition, und Ernest van der Kwast erzählt in großartigen Bildern.

Ernest van der Kwast: „Die Eismacher“, Verlag BTB, € 10,00, 978-3-442-71745-3

Für das nächste Buch braucht man in jeder Hinsicht eine stabile Grundlage: Es ist groß und schwer – und der Inhalt groß und beeindruckend …

Dieser Bildband ist eine Art Ausstellungskatalog – nur das es bisher keine Ausstellung gibt. William A. Ewing und Holly Roussell haben die Fotos für ihr Werk aber in der Art einer Ausstellung zusammengestellt. Die beiden haben Fotografen angeschrieben, auf die sie in Museen, Zeitschriften, durch Empfehlung aufmerksam geworden sind und haben sie um Fotos zum Thema „Die Welt im 21. Jahrhundert“ gebeten. Manchmal haben sie nach konkreten Fotos gefragt, doch nicht immer wurde ihnen dieses Foto auch überlassen. Denn manchmal hatten die Fotografen ein besseres, treff enderes Bild. Aber alle fanden die Grundidee, den Blick quasi zu weiten und die Welt aus völlig unterschiedlichen Perspektiven und mit sehr vielfältigem Ansatz abzubilden, richtig gut.

Die Einführung ins eigentliche Buch ist übrigens alles andere als optimistisch, das sei gesagt – der Blick durch die fielen „Sucher“ off enbart uns die Welt zum Teil in keinem guten Zustand. Aber das ist eben nur ein Aspekt und es gibt auch ganz andere. Die fünf Kapitel bieten stets sowohl positive als auch negative Aspekte des Fortschritts. Hoch interessant ist übrigens auch, was die einzelnen Künstler über ihr Werk schreiben!

William A. Ewing / Holly Roussel: „Civilization. Die Welt in der wir leben”, Knesebeck Verlag, € 55,00, 978-3-957282-10-1

Zivilisation in ganz anderer Weise beschreibt Francesca Melandri in ihrem in diesem Jahr zum Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändlerinnen und Buchhändler ausgelobten Buch:

Es ist kein guter Tag, an dem Ilaria Profeti nach Hause kommt – irgendwie ist sie nur gerannt und dann haben sie ihren Panda abgeschleppt, wegen Falschparkens an einer Stelle, an der gestern noch Parken erlaubt war. Auf dem Treppenabsatz erwartet sie ein junger Mann, mit einer Hautfarbe „von der gleichen Tönung wie die alten Holztüren zu beiden Seiten des Treppenabsatzes“; er fragt, ob Attilio Profeti hier wohnt, er sei dessen Enkel. Für Ilaria nicht vorstellbar. Wie soll ihr Vater denn zu einem solchen Enkel kommen? Und was will er hier? Trotzdem arrangieren sie sich. Der Junge, wie er fast im ganzen Roman genannt wird, obwohl er über 20 Jahre ist und mehr erlebt hat als alle Geschwister zusammen, zieht zu Ilarias Bruder bis sie wissen, wie alles weitergehen soll …

Auf die Idee einer „Kolonialfamilie“ baut Francesca Melandri einen vielschichtigen Roman auf, der ein knappes Jahrhundert Kolonialgeschichte umfasst. Eine Geschichte, die bis in die Jetztzeit reicht und auch Auswirkungen auf das Leben auf dem afrikanischen Kontinent hat – oder eigentlich das nicht-dortleben-können. Melandri zeichnet familiäre Verwerfungen, die auch auf unterschiedlichen politischen Einstellungen basiert, sie beschreibt faschistische Tendenzen und das Ringen um eine humanistische Haltung. Dabei gelingt ihr ein ganz eigener Sog, ihre Sprache ist mitreißend und faszinierend. Dieser Roman ist weit mehr als „nur“ ein Familienroman, er ist auch eine Geschichte der Emigration in all ihren entsetzlichen Facetten. Dieser Roman liest sich trotzdem genauso fl üssig, genauso süffig, genauso gut wie ein Familienroman und das ist eine hohe Kunst!

Francesca Melandri: „Alle, außer mir“, Verlag Wagenbach, € 26,00, eBook € 23,99, 978-3-8031-3296-3

Eine hohe Kunst ist übrigens auch das Zusammenstellen von Anthologien. Einem Thema so gerecht zu werden, dass jeder Beitrag eigenständig ist und sich alles trotzdem gut ergänzt, das ist eine beachtliche Leistung.

Anthologien gibt es in völlig unterschiedlichen Ausführungen – mal sind es Auszüge aus Romanen die in ihrer Zusammenstellung ganz anderes bewirken als die eigentlichen Romane. Mal sind es Essays oder Kurzgeschichten, in manchen Fällen sind auch Gedichte mit hineinverwoben. Die Anthologie „Vom Warten – Über Zeitlöcher und Warteschlangen“ enthält Einzelbeiträge (ohne Gedichte …), manche sind hierin überhaupt zum ersten Mal veröff entlicht. Es ist eine sehr, sehr vielfältige Mischung. Manche Texte fand ich schwierig, weil sie meine Überzeugung vom Miteinander in Frage stellten – aber das darf Literatur in jedem Fall, neu verorten schadet nie … Andere Texte waren wirkliche Wohlfühltexte. Einige Autoren loben das Warten, andere können es nicht leiden; ich glaube, so geht es uns auch: manchmal ist warten wunderbar, manchmal eine Qual. Zum Glück sind es jedoch nicht nur diese beiden Gegenpole, die beschrieben werden, die Texte sind sehr diff erenziert in den Beschreibungen und Erklärungen.

Das Buch jedenfalls ist eine Empfehlung: Man kann es immer wieder mit Gewinn aufschlagen und lesen.

„Vom Warten – Über Zeitlöcher und Warteschlangen“, Marix Verlag, € 22,00, 978-3-7374-1096-0

Auch meine nächste Empfehlung enthält lauter Kurztexte. Allerdings nicht von verschiedenen Autoren, sondern ausschließlich Texte der großartigen Judith Schalansky!

Wer sie nicht kennt, dem sei erzählt, dass sie Schriftstellerin, Buchgestalterin und Herausgeberin ist. Sie hat stets das Schöne im Blick und sie entdeckt es an Stellen, die sich nicht im ersten Moment erschließen. Dass sie dem Schönen verpfl ichtet ist, sieht man auch diesem Buch an: Die Ausstattung (matter Pappband mit fl ächigem Druck, das Papier sowie die Zwischenseiten) ist rundum gelungen. Und die bereits erwähnten Zwischenseiten sind geradezu einzigartig: Sie zeigen erst auf den zweiten Blick bekannte Fotografi en – allerdings sind sie schwarz auf schwarz gedruckt, sodass man das Buch manchmal ein wenig kippen muss, um zu sehen, auf was sich das nächste Kapitel bezieht. Dennis Scheck hat behauptet, dieses Buch wäre das schönste Buch des Herbstes …

Aber auch beim Inhalt überzeugt Schalansky. In einer gekonnten Mischung aus reichhaltig, zielstrebig und beschreibend hat sie hier Miniaturen über „einige Verluste“ geschrieben, die ich Seite für Seite mit Genuss gelesen habe. Das „Verzeichnis einiger Verluste“ enthält persönliche Notizen, Blicke auf die nahe und ferne Vergangenheit, politisch-geschichtliche Betrachtungen, dass es die reine Freude ist (allerdings ist diese Freude manchmal auch mit Sehnsucht oder Trauer gepaart).

Judith Schalansky: „Verzeichnis einiger Verluste“, Suhrkamp Verlag, € 24,00, 978-3-518-42824-5

Und damit komme ich zu meinem letzten „feinen Buch“. Es ist keines zum Lesen, es ist keines nur für Erwachsene und nur für einen kurzen Zeitraum ist es auch nicht.

Ich habe es in diesem Herbst an zwei junge Elternpaare verschenkt, weil es für mich alles aufzeigt, was wir in einem Menschenleben lernen können und eigentlich wissen müssen. Einmal Erwachsenwerden im grandiosen Schnelldurchlauf sozusagen. Da dieses Buch schwer zu beschreiben ist (Bilderbücher leben eben hauptsächlich von den Illustrationen und die sind in diesem Fall sehr vereinfacht und bunt, aber auch pfiffig und deutlich), übernehme ich stattdessen einfach ein paar „Lebensjahre“:

0 – Du lächelst, zum ersten Mal in deinem Leben. Und die anderen lächeln zurück. 1 ½ - Du lernst, dass deine Mutter wiederkommt, wenn sie weggeht. Das ist vertrauen. 12 – So viele Dinge kannst Du schon besser als deine Eltern. 34 – Du bist jetzt erwachsen. 35 – Oder vielleicht doch nicht. (Und mein absoluter Liebling:) 81 – Was, wenn dein Alter nicht in Jahren gezählt würde, sondern in Momenten, in denen du es genossen hast?

Heike Faller / Valerio Vidali: „Hundert. Was du im Leben lernen wirst“, Verlag Kein & Aber, € 20,00, 978-3-03-695781-4

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