Unsere Krimi-Lieblinge in 2017:
Routiniert gut
Hätte Larissa Winterkorn wie geplant ihren Doktor gemacht, wäre alles anders gekommen; doch stattdessen dolmetscht sie für eine Arbeitsvermittlung auf Fahrten nach Rumänien und Bulgarien. Dort hält ihr eine alte Frau das Foto ihrer in Deutschland verschwundenen Tochter hin – und Larissa, die für ihren Job sowieso nur Unbehagen empfindet, beginnt, diese junge Frau zu suchen. Ingo Bäumler hingegen kann seit seines „Falls“ nicht mehr arbeiten, er leidet an Panikattacken und Depressionen. Als ihm eines Abends sein sehr herber Nachbar zu Hilfe eilt und dessen Hund Rosi seine Zuneigung zu Bäumler entdeckt, entwickelt sich langsam eine Art Gemeinschaft. Bald sind sie allesamt in ein Verbrechen verstrickt, in dem auch der dubiose Wachmann Manfred Kowalski eine Rolle spielt. Doch was läuft hinter den Kulissen eigentlich ab?
Auch wenn Frankfurt-Krimi auf dem Titel steht – tatsächlich spielt Ralf Schwobs neuer Roman sowohl in Frankfurt als auch in Groß-Gerau. Und in einem kleinen rumänischen Ort namens Kleinkopisch. Schwob hat auch in seinem sechsten Roman wieder sehr genau beobachtet, die von ihm gezeichneten Figuren sind stimmig, die Abläufe kriminell logisch. Trotz dass schon recht bald alles in eine Richtung zu weisen scheint: So einfach macht der Autor es uns nicht. „Holbeinsteg“ ist ein Roman, der bis zum Schluss durch ungewöhnliche Wendungen besticht.
Ralf Schwob: „Holbeinsteg“, Societäts-Verlag, € 12,80
Abgründig
Heinrich Archer, genannt Hades, hat schon so manche Leiche verschwinden lassen. Doch die beiden Kinder, die ihm nach einer völlig missglückten Entführung gebracht werden, die will er ordentlich beerdigen und ihre Mörder richten. Allerdings stellt er fest, dass die beiden keineswegs tot sind, sondern schwer verletzt, sie überleben und er wird ihr Ziehvater. Zwanzig Jahre später sind sie Polizeibeamte mit gefährlichem Hang zur Selbstjustiz: Eden ist hart und kalkulierend, aber manchmal völlig unerwartet zugänglich, Eric hingegen ist arrogant, brutal und zynisch. Im Dezernat haben sie, auch wegen ihrer Erfolge, nahezu Narrenfreiheit – doch als Frank Bennett neu dazu kommt, werden die Karten neu gemischt …
Zwei schwer traumatisierte Kinder, die vom „Herrn der Unterwelt“ aufgezogen werden. Ein Cop mit neuem Aufgabengebiet, einer harten, klugen Partnerin und Kollegen mit Hang zur Gewalt. Viele Tote und ein kalt kalkulierender Mörder. „Hades“ ist ein Thriller, der tief in menschliche Abgründe sieht, da gibt es keine Beschreibung zu viel und keine zu wenig. Die Figuren sind lebhaft gezeichnet, auch da gibt es kein falsches Wort. Und die eigentliche Kriminalstory ist so nachvollziehbar wie erschreckend.
Candice Fox: „Hades – Band 1 der Trilogie“, Suhrkamp Verlag, PB € 14,99, eBook € 12,99
Ein Thriller?
Man darf ja nicht so alles glauben, was man liest. Im Falle „Die Mauer“ von Max Annas sollte man sich also tunlichst auf ein wirklich spannendes Buch – aber auf keinen Thriller einstellen. Denn die zweieinhalb Stunden Action innerhalb ‚The Pine‘, einer Gated Community irgendwo in Südafrika, diese 150 Minuten sind zwar gefüllt mit Diebstahl, wilden Verfolgungsjagden und mit einigen Toten, aber nicht mit dieser atemlosen Spannung, die einem den Schlaf raubt.
Nozipho und Thembinkosi sind geschickt getarnt: Sie ist gekleidet wie eine Putzfrau, er trägt einen schicken grauen Anzug; nur wenn sie alleine sind und keine Kamera in der Nähe, reden sie miteinander. Und tauschen sich darüber aus, in welches der vielen unzureichend geschützten Häuser sie einbrechen wollen. Der schwarze Student Moses hingegen ist nur in ‚The Pine‘, weil sein Auto liegengeblieben und sein Handy leer ist, er hofft, Hilfe von einem entfernten Bekannten zu bekommen. Während Nozipho und Thembinkosi also ein Haus durchsuchen und dabei eine – frische - Leiche entdecken, begegnet Moses zwei Weißen, die ihn bedrohen, und flieht. Bald hat er viel größere Schwierigkeiten, als ein defektes Auto …
Max Annas: „Die Mauer“, Rowohlt Verlag, 12,00 €, eBook € 9,99
Nichts für zarte Gemüter
Bisher führte Isabell ein Leben in Poloshirt und Cordhose, bis sie nach dem Tod der Mutter auf Jobsuche gehen und aus der Wohnung ausziehen muss. Bei der Haushaltsauflösung findet sie in der hintersten Ecke Flaschen – der Gang zum Container endet mit Übergriffen einer Gruppe trinkender Männer, die sich dort postiert haben. Isabell wehrt sich und dabei wird einer der Männer durch Feuer schwer verletzt. Von nun an gibt es zwei Isabells: Die zurückhaltende Isa, die einen Job als Hilfsschwester ergattert und die aggressive Bille, die erst handelt und dann nachdenkt und sich als Streetworkerin versucht. Bald steht Isabell zwischen Menschenhändlern und der Zuhältermafia und das Leben von zwei Kindern, die in einem Waisenhaus im Balaton gelandet sind, ist auch in Gefahr. Ein Wettlauf mit der Zeit und gefährlichen Gegenspielern beginnt.
Ella Theiss hat weit mehr als einen „Darmstadt-Krimi“ geschrieben: Konsequent aus zwei Perspektiven (der Isas und der Billes) erzählt sie eine rasante Kriminalgeschichte mit aktuellem Hintergrund. Ihre Bille erinnert dabei im besten Sinne an die amerikanischen Privatermittlerinnen der 80er Jahre, die mutig, aufmüpfig, alles andere als männerfürchtig und mit reichlich Munition ihren Weg gehen.
Ella Theiss: „Duo mit Beretta“, Verlag Prolibris, € 12,00
Atmosphärisch dicht
John Callum hatte einen radikalen Schnitt getan: Er ließ sein altes Leben zurück und begann ein gänzlich neues auf den Färöer-Inseln. Nun lernt er die Bewohner dort kennen und mögen – doch seinen Alpträumen, seiner Verzweiflung, der entgeht er leider nicht. Eines Morgens erwacht er, die Kälte sitzt tief in seinen Knochen, er liegt auf einer harten Steinplatte. An den Abend vorher hat er keinerlei Erinnerung. Was er hat, ist ein Walmesser. Eines voller Blut. Er weiß genau, wenn er nicht herausfindet, was passiert ist, dann ist das der Anfang vom Ende. Oder ist es jetzt schon das Ende?
Fast 500 Seiten hat dieser Kriminalroman. 500 Seiten voller Regen, Kälte und Kargheit, mit verkrachten und interessanten Personen, einer zutiefst packenden Kriminalhandlung und faszinierenden Landschaftsbeschreibungen – „Das Walmesser“ entführt uns Leser auf die Färöer-Inseln und lässt uns hautnah miterleben, wie das Leben niemals sein sollte.
C. R. Neilson: „Das Walmesser. Ein Färöer-Krimi“, Heyne-Verlag € 14,99, eBook € 9,99, Hörbuch € 14,99
Unsere Krimi-Lieblinge in 2016:
Innensicht.
Es ist spät am Abend, als die Polizistin Renée Pettersen nach Hause kommt – und direkt überfallen und in ihre Wohnung gezerrt wird. Der Angreifer ist ihr körperlich weit überlegen, alle polizeitypischen Verteidigungsgriffe helfen ihr nicht. Als es an der Tür klingelt und der Angreifer aufgeschreckt wird und flüchtet, ist Renée mehr tot als lebendig. Mit letzter Kraft ruft sie ihren Vorgesetzten Paul Vegter an und kann dadurch gerettet werden. Kurze Zeit später wird dann eine junge Frau ermordet aufgefunden, sie ist rothaarig wie Renée und weist die gleichen Verletzungen auf. Vivienne Verbruggen, Galeristin mit roten Haaren, entdeckt bei ihrem um etliches jüngeren Mann immer mehr Ungereimtheiten. Ist er der gesuchte Mörder?
Was wie ein Thriller beginnt, entwickelt sich stetig zum psychologischen Roman aus der Innensicht eines Mörders heraus. Der niederländischen Autorin Lieneke Dijkzeul gelingt es, uns mitfiebern zu lassen bis zum Ende, auch wenn recht bald klar scheint, wer den Mord begangen hat.
Jürgen Uter, Schauspieler und Hörbuchsprecher, gibt diesem Psychogramm mit genau der richtigen Mischung aus Anspannung und Lockerheit einen gut hörbaren Ton.
Lieneke Dijkzeul: „Vor dem Regen kommt der Tod“, Goyalit, € 14,99, TB € 9,99, eBook € 8,99
Hochspannend und aktuell
Präsident Putin besucht Kanzlerin Merkel – da ist es selbstverständlich, dass alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Und doch passiert das Undenkliche, eine Bombe detoniert. Nur zwei Sekunden später wäre das Auto der beiden Staatslenker hochgegangen und nicht das Fahrzeug, in dem das Begleitpersonal sitzt. Es gibt kein Bekennerschreiben, und relativ schnell ist klar, dass es sich nicht um einen islamistischen Anschlag handelt, egal was die Medien berichten. Doch wer steckt dahinter? Warum? Als auch die Geheimdienste mehr Rätsel als Ergebnisse vorweisen können, kommt schließlich Hauptkommissar Eugen de Bodt ins Spiel, ein Outsider mit unerbittlichem Gerechtigkeitssinn. Und darum alles andere als wohlgelitten …
Christian von Ditfurth ist einer der besten Krimiautoren Deutschlands. Mit „Zwei Sekunden“ hat er einen Politthriller verfasst, der kaum aktueller sein könnte, hervorragend ausgearbeitet und erstklassig recherchiert ist - und außerdem mit faszinierenden Charakteren angefüllt.
Christian von Ditfurth: „Zwei Sekunden“, carl’s books, PB € 14,99, eBook € 9,99
Nichts ist, wie es scheint
Demetrios ist gerade von einer anstrengenden Behandlung nach Hause gekommen und hat nicht die geringste Absicht, schon wieder seinen kleinen Wohnraum zu verlassen. Doch der Sklave Petronius überzeugt ihn, trotzdem mit zu Senator Drusus zu kommen, seinem Herrn, in dessen Haus es sich gut leben lässt. Leider kann Demetrios Drusus nicht retten – er ist vergiftet und erstochen worden. Demetrios, der neben der Heilkunst auch die Kunst der Logik beherrscht, bekommt den Auftrag, den Mord aufzuklären und gerät dabei mitten hinein in die römischen Machtkämpfe vor mehr als 2000 Jahren …
Zart besaitet darf man nicht sein, wenn man Lasse Holms historischen Kriminalroman lesen will; der Autor schont uns nicht, sondern beschreibt das Leben und Sterben in Rom sehr plastisch und mit reichlich fließendem Blut. Trotzdem mag ich das Buch empfehlen: seine bildliche Erzählweise führt uns nämlich auch mitten hinein in einen spannenden Kriminalfall und in eine Art zu leben, die kaum mehr vorstellbar ist.
Lasse Holm: „Der Römer“, Osburg Verlag, € 12,00, eBook € 3,99
Kriminelle Heimatkunde
Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert waren im Rhein an verschiedenen Stellen Schiffsmühlen aktiv (auch bei uns in Gernsheim, aber das nur am Rande …). Immerhin waren sie eine wirklich gelungene Möglichkeit, die Wasserkraft sehr effektiv zu nutzen, da keine Übertragung von Energie über die Strecke nötig war. Zunehmend machten diesen Mühlen allerdings die Dampfschifffahrt zu schaffen, denn die Dampfschiffe waren so schnell, dass sie stärkere Wellen aufwarfen als andere Schiffe – der Wellengang war gefährlich für die Mühlen. Das blieb natürlich nicht ohne Folgen für das Miteinander der Müller und Schiffer.
In diesem Zeitalter des Umbruchs spielt Jochen Frickels spannender Kriminalroman: Ein Raddampfschlepper havariert am Rhein bei Ginsheim – direkt vor den dort ankernden Schiffsmühlen. Die Mannschaft sucht im Ort Unterkunft; kaum sind sie dort, stirbt ein Müller und ein zweiter verschwindet auf rätselhaft Weise …
Zu einer Autorenlesung mit Jochen Frickel, der auch reichlich Bildmaterial zu den Schiffsmühlen im Gepäck hat, laden die KVHS, die Schöfferstadt und unsere Buchhandlung am 12. April 2016 ab 19 Uhr ins Schöfferhaus ein, der Eintritt beträgt € 7.
Jochen Frickel, „Die Kraft des Stromes.“, Roland Reischl Verlag, € 12,80
Von Opfern und Tätern
Ein immer öfter auftauchender Ermittlertyp in Krimis und Thrillern ist der verschrobene, selbst traumatisierte Ermittler. Die Figur der Fallanalystin Emma Carow in Ule Hansens Roman „Neuntöter“ gehört zweifelsohne auch in diese Reihe, aber selten gelingt es so gut wie hier, das Trauma der Hauptfigur mit dem Hauptfall zu verbinden. In Berlin geht ein Mumienmörder um, der scheinbar wahllos Menschen in Panzertape wickelt, mitten in Berlin aufhängt und qualvoll verdursten lässt. Die bizarren und aufwändigen Inszenierungen deuten schnell daraufhin, dass es die Polizei offenbar nicht mit einem Einzeltäter zu tun hat, sondern mit einer ganzen Gruppe von Psychopathen. Emma Carow folgt akribisch den spärlichen Spuren und stößt dabei u. a. auf eine Gruppe illegaler Kletterer, die ihrer Leidenschaft in leerstehenden Gebäuden mitten in Berlin nachgehen. Dort lernt sie eines Nachts einen geheimnisvollen Mann kennen, der sie auf merkwürdige Art anzieht und gleichzeitig abstößt. Zugleich hat sie aber noch ein anderes Problem: Der Mann, der sie als junge Frau vergewaltigt hat, ist wieder frei und hat ein Buch über seine Tat geschrieben, das ihn zum Medienstar und Emma erneut zum Opfer macht …
Neuntöter ist ein kluger, sehr harter und mitreißender Thriller, der im letzten Drittel noch einmal einen enormen Spannungsbogen schlägt.
Ule Hansen: „Neuntöter“, Heyne Verlag, PB €16,99, eBook € 12,99, Hörbuch € 16,99
Kein Thriller.
Obwohl Thriller auf diesem Erstling steht – es ist keiner. Sondern ein gut geschriebener, vielschichtiger Kriminalroman mit einer außergewöhnlichen Ermittlerin, viel finnischem Lokalkolorit und höchst ungewöhnlichen Wendungen. Im Oktober 2016 erscheint übrigens der zweite Band dieser Reihe als Taschenbuch.
Anna Feteke ist Ungarin und hat den Jugoslawienkrieg hautnah miterlebt. Mittlerweile lebt sie, gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, im finnischen Saloinen, hat eine Ausbildung bei der Polizei gemacht – und soll nun, im Sinne der Migrationspolitik, die Kriminalpolizei verstärken. Gleich der erste Fall hat es in sich: die junge Riika wurde auf grauenvolle Art getötet und wenige Tage später findet man einen zweiten Toten, der das gleiche aztekische Amulett in der Tasche hat. Ein Serienmörder? Annas Kollege Esko Niemi, fremdenfeindlich und raubeinig, glaubt nicht daran. Bis eine dritte Leiche ihn eines Besseren belehrt. Doch da ist Anna bereits allein unterwegs. Oder kümmert sie sich „nur“ um die Kurdin Bihar, deren Familie ausschließlich Anna gefährlich erscheint?
Kati Hiekkapelto: „Kolibri“, Heyne Verlag, € 9,99, eBook € 8,99
Von geradezu hypnotisierender Wirkung
Lisa ist Mutter von drei Kindern und hat einen anstrengend-erfüllenden Job im Tierheim. Irgendwie hat ihr Tag stets zu wenige Stunden und so kommt es, obwohl sie sich redlich müht, immer mal zu Alltagsdramen – mal hat sie die Pizzazutaten für die Tochter vergessen, mal eine Spende für die Klassentombola des Sohnes. An einem Vormittag in der Vorweihnachtszeit passiert allerdings eine wirkliche Katastrophe: Lucinda, die beste Freundin von Tochter Sally ist unauffindbar und sie hätte schon seit dem vorigen Tag bei Lisa sein sollen! Und erst vor kurzer Zeit wurde ein Mädchen vergewaltigt aufgefunden. Was, wenn Lucinda das Gleiche passiert ist?
Die Überschrift ist übrigens ein Zitat von Tess Gerritsen über Paula Dalys Debütroman. Daly lässt Lisa in Ich-Form erzählen, dazwischen gibt es Passagen aus Sicht der Ermittlerin und aus Tätersicht: das alles entwickelt einen beeindruckenden Sog, der aber nie durch große Gewalttaten entsteht. Eher durch den nervenzerreibenden Umgang Miteinander … „Herzgift“, der zweite Einzeltitel der Autorin ist im April 2016 erschienen.
Paula Daly: „Der Mädchensucher“, Goldmann Verlag € 9,99